Endlich stehe ich mal wieder in Wanderkluft auf dem Perron und mache mich auf eine Wanderung. Oft habe ich meinen Blick nur sehnsüchtig in die Berge schweifen lassen. Die Aussicht aus dem Bürofenster von Regina, meiner Chefin, ist wunderbar. Manchmal scheinen Eiger, Mönch und Jungfrau zum greifen nah. Gerne denke ich dann an den Sommer hoch oben im Geröll nahe den Steinböcken. Vergessen sind Wanderköllerchen.
So, jetzt geht's aber los ins Freiburgerland. Im Zug lese ich ein Buch über den inneren Schweinehund. Er heisst da im Buch ganz liebevoll Würmli. In meiner neuen Funktion als Beraterin werde ich oft mit verschiedenen inneren Würmli konfrontiert. Viele meiner Klienten müssen ihr Leben ändern. Gesünder essen und mehr Bewegung. Immer wieder kämpft Würmli dagegen an. Es brauche ein gesundes Mittelmass von Disziplin und Gelassenheit steht im Buch. Wenn das Würmli immer streng an der Leine gehalten werde, könne das zu Depressionen und Burn out führen. (Nicht vom Würmli). Bald schon mag ich mich nicht mehr geschäftlicher Literatur widmen und mein Blick schweift über das hügelige Land, beleuchtet von der warmen Herbstsonne.
Im Bus von Fribourg nach Plasselb diskutieren zwei ältere Frauen über den Tod. Inspiriert durch eine Sendung im Schweizer Fernsehen mit Mona Vetsch, die ein paar Tage auf einem Friedhof verbracht hat. Die zwei Frauen sprechen über das Sterben, die Kremation und dass sie sich nicht vorstellen könnten verstorbene Menschen zu sehen oder sogar zu berühren. Ich bin etwas erstaunt, da die zwei Frauen nicht mehr ganz jung sind, und sicher schon öfters mit dem Tod von Angehörigen in Berührung kamen. Viele Begegnungen mit sterbenden Menschen und ihren Angehörigen kommt mir in den Sinn. Ich habe diese Begleitung immer als Bereicherung meiner pflegerischen Tätigkeit empfunden. Die erste Wanderstunde hänge ich noch meinen morbiden Gedanken nach bis Kinderlachen mich auf andere Gedanken bringt. Ein Waldkindergarten. Zwerge in farbigen Jacken toben lachend durch den Wald. Das Leben hat mich wieder eingeholt.
Ich steige steil hoch auf die Chrüzfluh auf 1260m und der Blick über Land ist überwältigend. Fast senkrecht unter mir liegt das Wälder-Felder-Dörfer- Mosaik des Freiburgerlandes und im Hintergrund das blaue Band des Juras. Im Sommer wäre es da oben auch paradiesisch, sehe ich doch ganz viele Heidelbeerstauden. Die Alpwirtschaften Crau und auch die Bergwirtschaft Cousimbert sind schon geschlossen. Für einen Novembertag ist es warm und der Aufstieg auf den Käseberg bringt mich ins Schwitzen. Ich esse mein Müesli und mein Blick schweift über Fribourg, zum Neuenburgersee, Greyerzersee, Murtensee und Genfersee, zum Jura und über die Freiburgeralpen.
Herrlich ist der Weg bis zum Aussichtspunkt La Berra. Eine gemütliche Höhenwanderung über den breiten Grat von Cousimbert, vorbei an Alpenrosenstauden und schon von weitem sehe ich die flache Pyramide der Berra mit dem Triangulationsdreieck auf dem Gipfel. Die Zeit wird etwas knapp und ich muss unbedingt das Postauto in La Roche erreichen. Es werden noch zwei Wanderstunden angegeben auf dem Wegweiser. Ich habe jetzt noch zwei Stunden dreissig Minuten Zeit und möchte auch noch auf den Gipfel der Berra. Ich studiere nicht lange und steige schnellen Schrittes hoch. Es lohnt sich! Die Rundsicht über das Mittelland von der Waadt mit ins Emmental und vom Moléson bis zur Gantrischkette ist grossartig. Leider kenne ich nur einzelne Berge. Mir fehlt mein Geografielehrer an meiner Seite.
So jetzt aber runter! Das Postauto wartet nicht. Der Abstieg ist nicht so schön. Oft führt der Weg über planierte Skipisten. Rutschig, steil und dreckig ist es. Ohne Pause hetze ich die 1000 Höhenmeter runter ins Tal. Pünktlich erreiche ich den Bus. Zufrieden, vollgetankt mit Sonne und müden Beinen reise ich heim. Ich freue mich auf den Abend, den ich mit ehemaligen Arbeitskilleginnen verbringen werde.
Es ist glitschig, steil und dreckig. Ohne Pause wandere ich die zwei Stunden und 1000 Höhenmeter runter nach La Roche. Rechtzeitig erreiche ich die Post und da kommt auch schon der Bus nach Fribourg. Ich habe heute Abend noch ein Rendez-vous mit ehemaligen Arbeitskolleginnen von Langenthal. Aufgetankt mit viel Sonne, schönen Ausblicken und müden Beinen kehre ich heim und freue mich auf den geselligen Abend.